Am 29. April begann am neuen chinesischen Weltraumbahnhof in Wenchang eine Mission, die einst in den Annalen der Raumfahrtgeschichte ganz oben angesiedelt sein wird: Der Start zur ersten Mission zum Aufbau der modularen chinesischen Raumstation. Dabei wurde das Tianhe-Basismodul mit einer Trägerrakete des Typs Langer Marsch 5B in eine niedrige Erdumlaufbahn transportiert.

Dies läutete den Beginn einer elf Einzelmissionen umspannenden und etwa 18 Monate dauernden Abfolge überaus ambitionierter Einsätze ab. Vier dieser Flüge werden bemannte Einsätze sein, die bis zu sechs Monate dauern werden.

Die Zündung der ingesamt zehn Triebwerke erfolgte um 5:18 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Neun Minuten später hatte das Modul den gewünschten Orbit erreicht und sich von der Trägerrakete gelöst.

Die Abmessungen des Tianhe-Moduls sind erheblich. Es ist 16,6 Meter lang, hat einen Durchmesser von 4,2 Metern und wiegt beim Start 22,5 Tonnen. Das für Astronauten nutzbare Volumen in dieser Einheit beträgt 50 Kubikmeter.

Die chinesische Raumstation führt noch keinen offiziellen Namen, doch wird sie in den Medien häufig ebenfalls als Tiangong bezeichnet, so wie die beiden vorausgegangenen Testeinheiten. Das erste Modul, das am 29. April starten soll ist das Kernelement der neuen Station. Es trägt den Namen Tianhe. In dieser Einheit befinden sich die Systeme für alle zentralen Funktionen wie etwa das Antriebssystem mit seinen vier Haupttriebwerken, die Navigationseinrichtung, Stromversorgung, Treibstofftanks und die Unterkünfte der dreiköpfigen Stammbesatzung. Die Raumlage wird im Normalfall über ein System von sechs Momentenkreiseln geregelt. Am schmalen Ende des Moduls befindet sich ein zylindrischer Dockingknoten mit fünf Anlegestellen. Am anderen Ende des Kernmoduls befindet sich eine weitere Anlegestelle.

Die anderen beiden Großeinheiten in der ersten Ausbaustufe der Station tragen die Bezeichnungen Wengtian und Mentian. Sie sollen im Juni und im September 2022 starten. Sie sind für wissenschaftliches Arbeiten optimiert, nehmen mehrere Dutzend Instrumentenracks auf und haben über ein Schleusensystem Zugang zum freien Weltraum, um dort Versuchsanordnungen oder wissenschaftliche Experimente zu exponieren.

Im März 2021 gab China die Besatzungen für  die bemannten Missionen Shenzhou 12 und 13 bekannt: Shenzhou 12 soll im Juni 2021 starten und bis September im Orbit bleiben. Die Crew besteht aus Nie Haisheng, Deng Qingmin und Ye Guangfu. Zwei davon sind Taikonauten der ersten Stunde im chinesischen Raumfahrtprogramm, aber nur einer hat bislang Raumflugerfahrung, und das ist Kommandant Nie Haisheng. Er ist 56 Jahre alt und war mit Shenzhou 6 und mit Shenzhou 7 schon zweimal im Orbit. Die beiden anderen sind „Rookies“. Einen könnte man sogar als „Alt-Rookie“ bezeichnen, denn Deng Qingmin stammt noch aus der ersten Taikonautenauswahl von 1995 und ist inzwischen 55 Jahre alt. Ye Guangfu stammt aus der Gruppe 2 von 2010 und ist mit 41 deutlich jünger.

Shenzhou 13 soll im Oktober 2021 starten und bis März 2022 im Orbit bleiben. Die Besatzung besteht aus Liu Boming, Chen Dong und Zhang Lu. Liu Boming ist ebenfalls 55 Jahre als, war mit Shenzhou 7 im Orbit und das vielleicht noch bemerkenswertere ist, dass er den militärischen Rang eines Generalmajors bekleidet. Damit dürfte er der höchstrangige Militär sein, der jemals in den Weltraum geflogen ist. Chen Dong ist 42 und flog bereits mit Shenzhou 11. Zhang Lu ist ein „Rookie“, der aus der Gruppe 2 stammt.

Die Besatzungen für Shenzhou 14 und 15 stehen mit Sicherheit auch schon fest, sind aber noch nicht bekannt gegeben. Shenzhou 14 soll im Mai 2022 starten und bis November 2022 in der Station bleiben. Danach wird es erstmals ein so genanntes „hand-over“ geben. Das bedeutet, dass eine Übergabe der Station im Orbit stattfinden soll. Dazu soll Shenzhou 15 bereits im Oktober 2022 starten, so dass eine Übergabezeit von mindestens zehn Tagen mit der vorausgegangenen Crew möglich ist.

Die Frachttransporte werden mit Raumfahrzeugen des Typs Tianzhou durchgeführt. Ein Versuchsmodell dieser Einheit mit der Bezeichnung Tianzhou 1 wurde bereits zwischen April und September 2017 mit der experimentellen Tiangong 2-Raumstation gekoppelt. Die Tianzhou-Raumfahrzeuge liegen in der Größe etwas unterhalb des japanischen HTV-Transporters für die ISS, sind aber fast doppelt so massiv wie die russischen Progress-Raumschiffe. Der Entwurf für die Tianzhou-Raumfahrzeuge wurde aus dem Tiangong-Versuchsmodul abgeleitet.

Für die Aufbauphase der Station werden vier Tianzhou-Raumfahrzeuge benötigt, nämlich Tianzhou 2, die im Mai 2021 gestartet werden soll, Tianzhou 3 im September 2021, Tianzhou 4 im April 2022 und Tianzhou 5 im Oktober 2022.

Die Tianzhou-Module bieten außerdem zusätzlichen Lebensraum für die Taikonauten an Bord der Station.

Das Flugkontrollzentrum der Station befindet sich in Peking. Nach Abschluss der Bauphase 1 wird die chinesische Raumstation eine Gesamtmasse von 80 - 110 Tonnen aufweisen. Das ist in etwa ein Fünftel bis ein Viertel der Masse der Internationalen Raumstation oder ziemlich genau die Masse und Größe der ehemaligen sowjetisch/russischen Raumstation Mir.

Da für jedes der Module eine Ersatzeinheit gebaut wurde, kann man davon ausgehen, dass diese ebenfalls nach einer gewissen Zeit zur Station verbracht und dort angekoppelt werden. Zusätzlich wird es ein großes chinesisches Weltraumteleskop mit der Bezeichnung Xuntian geben. Dieses Teleskop wird wahrscheinlich gegen Ende 2024 zur Station gebracht. Es wird die meiste Zeit seines Einsatzes frei fliegen, allerdings auf derselben Bahnhöhe und Inklination der chinesischen Raumstation unterwegs sein. Von dort aus kann es leicht die Station ansteuern und dort anlegen, wenn Wartung oder technische Erweiterungen dies erfordern.

Nach Inbetriebnahme wird die Station in einer Umlaufbahn mit einer Bahnneigung von 43 Grad zum Äquator (ISS 53,6 Grad) die Erde in einer Höhe zwischen 340 und 450 Kilometern Höhe umkreisen. Ihre Lebensdauer ist auf 10 – 15 Jahre ausgelegt.

Die erste reguläre Langzeitbesatzung kann dann Mitte 2023 erwartet werde. Es steht noch nicht fest, ob die Station permanent besetzt bleiben soll, oder ob sie „man-tended“ betrieben wird, ähnlich wie die frühen Skylab und Salut-Raumstationen. Nach einigen Crew-Transfers werden dann auch „Gast-Taikonauten“ aus anderen Ländern aufgenommen.

Bild: Startlogo der Tianhe-Startmission; Quelle: CNSA