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CMS vor dem Test; Credit: CERN Von Energien, Dimensionen und schwarzen Löchern…

Im vierten Quartal 2008 (oder doch erst Anfang 2009?) soll mit dem Large Hadron Collider (LHC) das größte Experiment der Menschheit am CERN in der Nähe von Genf in Betrieb gehen. In dem 27 km langen kreisförmigen Tunnel, der gut 100 Meter unter der Erdoberfläche liegt, werden dann Protonen auf 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und in speziellen Teilchendetektoren gezielt zur Kollision gebracht.

In diesem unscheinbaren Satz, den ich gerade von mir gegeben habe, stecken einige der größten Probleme, mit denen sich Hochenergiephysiker herumschlagen müssen, wenn man die Struktur der Materie und damit auch die Funktionsweise der Natur und des Universums begreifen will.

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Hohe Energien für die Beobachtung des Allerkleinsten

Zuerst einmal muss man die Teilchen deswegen auf sehr hohe Energien beschleunigen, weil man nur bei sehr hohen Energien in die kleinsten Bereiche der Natur vordringen kann. Um das zu verdeutlichen, muss man wissen, dass ein optisches Mikroskop vor allem durch die verwendete Lichtwellenlänge (ca. 380 – 740 nm) in seiner Auflösungsfähigkeit begrenzt ist. Will man Objekte beobachten, die kleiner sind als die Lichtwellenlänge, so muss man mit kurzwelligeren Strahlen (=höherer Energie) arbeiten, also zum Beispiel mit UV- oder Röntgenlicht. Das aber hat den Nachteil, dass organische Substanzen sehr schnell zerstört werden. Man nimmt deswegen sehr gerne Elektronenmikroskope, die aufgrund der mit den Elektronen verbundenen Materiewellen sehr kurze Wellenlängen aufweisen. Nur um das in Vergleich zum optischen Licht zu setzen: ein Elektron mit 100 keV Energie (das ist eine 4x so hohe Energie wie die der Elektronen, die Ihnen jeden Abend aus der Bildröhre Ihres Fernsehers entgegenströmen), hat eine Wellenlänge von nur 0,0037 nm, ist also 100.000 mal so kurz wie das Licht.

Ein Faktor von 1:100.000 klingt gut, und man kann damit auch sehr tolle Untersuchungen in der Physik, Chemie und Biologie anstellen. Wenn man aber in das Innere eines Atomkerns schauen will – und der ist nur 10-6 nm groß, also noch mal um den Faktor Tausend kleiner als die Wellenlänge der Elektronenmateriewelle – dann ist klar, dass man wesentliche kürzere Wellenlängen beziehungsweise wesentlich höhere Energie benötigt. Man braucht einen Teilchenbeschleuniger, der zum Beispiel Elektronen auf 200 GeV (2000 Mal soviel wie das zuvor erwähnte Elektronenmikroskop) beschleunigt. Genau das hat der Large Electron-Positron Collider (LEP), der Vorläufer des LHC am CERN, auch gemacht, wobei einige herausragende Entdeckungen gelangen.

Nun sind zwar 200 GeV ein guter Wert, aber eben auch noch weit entfernt von dem, was man benötigt, um den Quarks auf die Schliche kommen zu können  oder um das hypothetische Higgs-Teilchen aufzuspüren. Deswegen hat man schließlich beschlossen, den LEP durch den LHC zu ersetzen. Dieser beschleunigt keine Elektronen und Positronen (die Antiteilchen der Elektronen), sondern Protonen, womit man die Energie nochmals steigern kann. Sobald der LHC seinen operationellen Betrieb aufgenommen hat, werden Protonen mit 14 TeV (also mit zirka 70 Mal soviel Energie wie beim LEP) aufeinanderprallen – wir werden sehen ob das reicht.

Ein großer Ring mit 8,6 km Durchmesser – drunter wird das nichts

LEP wurde im August 1989 in Betrieb genommen und war bis zu seiner Abschaltung im Jahre 2000 der größte Teilchenbeschleuniger der Welt. Diese Ehre wird nun dem LHC zuteil, der im ursprünglichen LEP-Tunnel untergebracht ist und damit ebenfalls ein ringförmiger Teilchenbeschleuniger mit 27 km Umfang bzw. 8,6 km Durchmesser ist. Das ist schon ein ganz schönes Stück Infrastruktur, und weil der Beschleuniger noch dazu als Tunnel ausgeführt ist, auch ein enormer Kostentreiber – 50 Prozent der Gesamtkosten sind alleine in den Tunnelbau geflossen.

Wie schön wäre es, könnte man auf diese große Infrastruktur verzichten und Hochenergiephysikexperimente à la LEP/LHC mit einem schreibtischgroßen System durchführen. Leider aber verhindern das die Gesetze der Physik. Eines der grundlegendsten Gesetzte der Physik, die Abstrahlung von elektromagnetischer Strahlung durch ein beschleunigtes geladenes Teilchen – die sogenannte Bremsstrahlung (heißt übrigens auch im Englischen so) – manifestiert sich im Falle eines ringförmigen Teilchenbeschleunigers oder auch Synchrotrons, als Synchrotron-Strahlung und führt zum Energieverlust der beschleunigten Teilchen. Dieser Energieverlust ist dabei umso stärker, je kleiner der Beschleunigerdurchmesser ist und je leichter die beschleunigten Teilchen sind. Das bedeutet: im selben Beschleuniger geben Elektronen viel schneller Synchrotron-Strahlung ab als Protonen, die zirka 2000 Mal so massereich sind. Will man also zu hoher Teilchenenergie vordringen um die kleinsten Strukturen der Natur zu untersuchen, so muss man einen dementsprechend großen Ring bauen und schwere Teilchen verwenden um die Synchrotron-Strahlung in Grenzen zu halten. Ganz verhindern kann man sie auch dann nicht, und deswegen ist man gut beraten den Beschleuniger in einem Tunnel unterzubringen, damit allfällige Strahlenbündel der Synchrotron-Strahlung im Gestein und nicht in einer nichts ahnenden Nachbargemeinde gestoppt werden.

Die Kollision relativistischer Protonen – ein Job für Spezialisten

Machen wir ein Gedankenexperiment à la Albert Einstein und versetzen wir uns in die Lage eines Protons im LHC. Wie auf einer speziellen Autobahn rasen wir zusammen mit 100 Milliarden anderen Protonen durch einen 27 km langen Ring, in dem ein fast perfektes Vakuum mit einem Billionstel des irdischen Luftdrucks herrscht. Stau gibt es keinen, denn da wir Protonen positiv geladen sind, stoßen wir einander ab. Damit die supraleitenden Magneten arbeiten können, ist es auch noch eiskalt. Wie kalt genau ist es? "Eiskalt" ist warm dagegen, denn im LHC ist es noch um 1° kühler als im Weltraum – die Temperatur beträgt gerade mal 1,9 K, also nur 1,9°C über dem absoluten Nullpunkt. Abgesehen von der Temperatur wäre die Reise also ganz angenehm, und mit einer Reisegeschwindigkeit von 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit, also zirka 300.000 km/s, sind wir zügig unterwegs. Wie aber auf der normalen terrestrischen Autobahn gibt es auch im LHC Unfälle. Nicht zwischen den Protonen eines Bunch – so wird ein Teilchenpaket mit 1011 Protonen genannt – sondern dann, wenn die CERN-Wissenschaftler "Geisterfahrer" spielen. Dazu leiten sie an speziellen Stellen – im Herzen eines Teilchendetektors wie zum Beispiel ATLAS oder CMS – die beiden Protonstrahlen kurzerhand um, sodass sie auf direkten Kollisionskurs mit dem anderen Strahl, der in Gegenrichtung läuft, geraten. Fazit: Stellen Sie sich vor, Sie rasen mit annährend Lichtgeschwindigkeit und 100 Milliarden Kollegen auf einen Punkt zu, von dem Sie wissen, dass Sie dort auf andere 100 Milliarden Kollegen treffen werden, die Ihnen ebenfalls mit annährender Lichtgeschwindigkeit entgegenkommen. Ein Horror, oder?

ATLAS-Detektor im CERN; Credit: CERN Wenn solch ein Szenario (mit terrestrischen Werten) auf einer Autobahn passierte, so käme das wohl einem Super-GAU gleich. Aber die Teilchenphysik ist nur bedingt durch Vorgänge des täglichen Lebens beschreibbar, was sich auch bei dieser Kollision zeigt. Denn die Kollision, die in der Makrowelt schnell zu einem Horrorszenario ausarten würde, muss in der Teilchenphysik erst einmal mit sehr viel Aufwand ermöglicht werden.

Um im LHC auf eine vernünftige Kollisionsrate zu kommen, werden 2808 Bunches mit jeweils 1011 Protonen zur Kollision gebracht. Bei annähernder Lichtgeschwindigkeit der Teilchen ergeben sich auf diese Weise 600 Millionen Kollisionen pro Sekunde. Das ist zwar eine hohe Zahl, man schätzt aber, dass nur eine von 10.000.000.000.000 Kollisionen zu einem wirklich hochenergetischen Treffer führt, bei dem man ein Higgs-Teilchen, Quark -Jets oder das Entstehen von supersymmetrischen Teilchen beobachten kann.

Und warum verzichtet man dann nicht auf die Kollision und schießt die Protonen auf ein ruhendes Ziel, werden Sie sich jetzt vielleicht fragen. Die Idee ist an sich nicht schlecht, aber auch hier liegt der Teufel im Detail. Nur wenn die Teilchen frontal aufeinander geschossen werden, addieren sich die Energien der Teilchen, also beim LHC zu 14 TeV (= 7 TeV + 7 TeV) im anderen Fall steigt die benötigte Energie des Strahls quadratisch an, was zu exorbitanten Energien führt – um die 14 TeV zu erreichen, müsste der Protonenstrahl 7460 Mal so energiereich sein, also 104.444 TeV aufweisen. Das sind Energien, mit denen zurzeit nur der Kosmos um sich werfen kann (Stichwort: QASAR , SuperNovae), aber nichts, was die Menschheit aus dem kleinen Finger schütteln kann.

Extra Dimensionen und schwarze Löcher – Weltuntergangsmaschine LHC?

Im Jahre 2000 wurde LEP abgeschaltet um Platz für den LHC zu machen, seither wird am neuen Superbeschleuniger gearbeitet. Acht lange Jahre war vom CERN nur sehr wenig in den Medien zu hören und zu sehen, aber plötzlich ist alles anders. Denn auf einmal steht die Befürchtung im Raum, dass ignorante oder eventuell sogar perfide CERN Wissenschaftler, im besten Illuminati -Kontext, den Weltuntergang planen. Wie kommt jemand dazu solche Befürchtungen in die Welt zu setzen (wenn wir mal davon ausgehen, dass hier kein übertriebener medialer Geltungstrieb der eigentliche Motivator ist)?

Der Stein, der das Ganze ins Rollen gebracht hat, ist die mögliche Erschaffung von Schwarzen Löchern durch die hochenergetischen Teilchenkollisionen.

Dieses Konzept beruht auf der Annahme versteckter Dimensionen, die zum Beispiel von der Stringtheorie postuliert wird. Mittels dieser Theorie will man endlich auch die Gravitation in eine gequantelte Form bringen, um sie mit den anderen drei Wechselwirkungen – der elektromagnetischen, der schwachen und der starken – vereinigen zu können. Leider aber – oder auch Gott sei Dank – hat Albert Einstein hier ganze Arbeit geleistet und mit der Allgemeinen Relativitätstheorie eine komplexe aber gut funktionierende Beschreibung der Gravitation aufgestellt, die sich allen Vereinigungswünschen restriktiv widersetzt, eben weil sie keinen Quantencharakter aufweist.

Die Stringtheorie, eine Quantentheorie, in der die elementaren Bestandteile durch winzige, eindimensionale schwingende Saiten (englisch: Strings) beschrieben werden, schafft zwar diese Vereinigung – aber nur, indem sie sechs bis sieben zusätzliche Raumdimensionen postuliert. Zusammen mit der vierdimensionalen Raumzeit hätte das Universum dann also 10 oder 11 Dimensionen. Offensichtlich nehmen wir diese zusätzlichen Dimensionen nicht wahr, wofür mehrere Erklärungen gegeben worden sind. Entweder sie sind in komplizierter Weise zusammengerollt oder aber wir leben auf einer "Bran", einem dreidimensionalen Raum, der in die höherdimensionalen Räume eingebettet ist wie die zweidimensionale Fläche einer Tischdecke in den dreidimensionalen Alltagsraum.

Egal welche der Erklärungen zutrifft – sollte es diese zusätzlichen Raumdimensionen wirklich geben, so könnten sie sich dadurch manifestieren, indem sie zum Beispiel die Art und Weise beeinflussen, wie die Stärke der Gravitationskraft zunimmt, wenn man sich einer Masse immer weiter nähert. Üblicherweise nimmt die Gravitationskraft mit dem Quadrat des Abstandes zu (oder ab) – d.h. wenn man den Abstand zu einem massiven Körper halbiert, dann steigt die Gravitationskraft um das Vierfache wie am Ausgangsort. Sind dagegen Extradimensionen im Spiel, dann kann die Kraftstärke ungleich schneller anwachsen, zumindest bei sehr kleinen Abständen – und rein theoretisch, denn beobachtet konnte dieser Effekt bis dato noch nicht werden.

Wie auch immer, genau hier haken die Kritiker ein, indem sie sagen, dass es am LHC möglich sein soll, Teilchen mit einer hohen Energie (=Masse) durch die Kollisionen so nahe aneinander zu bringen, dass durch die nunmehr extra-raumdimensionsverstärkte Gravitationskraft der Schwarzschildradius unterschritten wird und sich daher ein mikroskopisch kleines schwarzes Loch bilden kann. Im weitergehenden Horrorszenario nistet sich dieses Mini-schwarze Loch im Erdkern ein und frisst dass die Erde von innen her auf – und alles was die Menschheit tun kann ist zusehen und verzweifeln.

Der potenzielle Weg zum stabilen mikroskopisch kleinen schwarzen Loch

Auch wenn ein bisschen Horror zeitweise recht lustig sein kann – hier geht dieses Horrorszenario eindeutig zu weit. Sieht man sich die ganze Erforderniskette an, so gleicht das Ganze schon mehr einem Verschwörungskrimi als einer wissenschaftlichen Diskussion.

Der Reihe nach.

Zuerst einmal müssen diese extra Raumdimensionen existieren. Wenn es nur drei Raumdimensionen geben sollte, so kommt beim Horrorfilm bereits hier die erste Werbeunterbrechung.

Weiters müssen diese extra Raumdimensionen sich durch eine verstärkte Nahfeldgravitation bemerkbar machen. Dagegen sprechen die bisherigen Experimente, denn am CERN wurden schon beim LEP Elektronen und Positronen gegeneinandergeschossen und sind sich sehr nahe gekommen – extra-raumdimensionsverstärkte Gravitationskräfte konnten nicht beobachtet werden.

Sollte sich aufgrund der extra-raumdimensionsverstärkten Gravitationskraft ein schwarzes Loch bilden, so wäre dies aufgrund der postulierten Hawking-Strahlung nur sehr, sehr kurzlebig (bei einer Masse von 10.000 Protonen wäre die Lebensdauer gerade mal 10-26 Sekunden) und würde in einem Teilchenblitz explodieren. Es bleibt anzumerken, dass die Hawking-Strahlung schon 1974 postuliert wurde und sich noch immer hält – kein schlechtes Zeichen in unserer kurzlebigen Zeit.

Bei einer Lebensdauer von 10-26 Sekunden hat das schwarze Loch nicht genügend Zeit um Materie aufzusaugen – Ende des Horrorfilms. Nur wenn die Hawking-Strahlung nicht existieren sollte, geht der Film weiter – es gibt allerdings zur Zeit keine einzige Theorie (!), welche stabile, mikroskopische schwarze Löcher postuliert. Sollten sie allerdings doch existieren können, so wären sie entweder elektrisch geladen oder neutral.

Stabile mikroskopische schwarze Löcher ohne elektrische Ladung würden nur sehr schwach mit der Erde wechselwirken und aufgrund der hohen Energie, die bei der Kollision freigesetzt worden ist, die Erde verlassen. Die Gravitationskraft ist um viele Größenordnungen schwächer als die elektromagnetische oder die starke Kraft und da ein elektrisch neutrales mikroskopisches schwarzes Loch nur der Gravitationskraft unterliegt ist es nicht viel anders als ein Neutrino – nur etwas massereicher.

Stabile mikroskopische schwarze Löcher mit elektrischer Ladung würden allerdings durch die elektromagnetische Wechselwirkung mit der Materie der Erde reagieren und daher von dieser auch gestoppt werden. Nur in diesem Fall würde sich die Frage eines schwarzen Loches auf der Erde überhaupt stellen. Dazu müssen aber sowohl eine extra-raumdimensionsverstärkte Gravitationskraft existieren als auch die Teilchenkollision perfekt sein, weiters dürfte die Hawking-Strahlung nicht existieren, und das mikroskopische schwarze Loch müsste stabil und auch geladen sein.

Wer sich angesichts dieser vielen »Wenns« noch immer fürchtet, dem sei zu guter Letzt noch eine einfache Beobachtung ans Herz gelegt, die alle Befürchtungen durch stabile mikroskopische schwarze Löcher mit einem Schlag aus dem Weg räumt: Die Erde existiert noch immer – und das schon seit 4,5 Milliarden Jahren!

Eine Beobachtung mit weit reichenden Konsequenzen: Die Erde steht noch immer!

Auch wenn diese Aussage trivial klingt, sie ist eindeutig das einfachste und klarste Argument zum Thema Sicherheit des LHC. In der ganzen Diskussion um die Erzeugung stabiler mikroskopisch kleiner schwarzer Löcher im leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger der Welt wird nämlich gerne vergessen, dass die Erde tagtäglich von einer hoch energetischen Teilchenstrahlung, die sowohl von unserer Sonne als auch anderen Himmelskörpern ausgeht, bombardiert wird.

Der Weltraum ist durchflutet von Protonen, Elektronen und hochenergetischen Atomkernen, die Schäden an Energieseinrichtungen, Satelliten und Raumfahrzeugen anrichten können. Nur der Abschirmung durch das Erdmagnetfeld und die Erdatmosphäre haben wir es zu verdanken, dass diese ionisierende Strahlung die Erdoberfläche nicht erreicht – Leben wäre sonst auf der Erde nicht möglich. Wie schlimm das Bombardement ist, kann man in der Nähe der beiden Polarkreise erkennen, wo das Polarlicht ein deutliches Zeugnis der Wechselwirkung von Teilchen und Erdatmosphäre ablegt. Meistens, aber nicht immer, werden die hochenergetischen Teilchen aus dem Weltraum in der Atmosphäre gestoppt. Wenn nicht, kann es schlimmstenfalls zum Ausfall ganzer Stromnetze kommen, wenn die Luft ionisiert wird und es zu massiven Überschlägen bei Hochspannungsleitungen und Transformatoren kommt. Im Vergleich zu den Energien dieser Teilchen kommt man fast in Versuchung, den stärksten Teilchenbeschleuniger der Welt, den LHC am CERN als "Kinderspielzeug" zu bezeichnen.

Auch hartgesottene Hochenergiephysiker schütteln fassungslos den Kopf, wenn sie die Energien vergleichen, ist doch die Energie eines einzelnen Teilchens aus der kosmischen Strahlung um bis zu eine Million mal größer als die Kollisionsenergie der LHC-Protonen, obwohl der Umfang des LHC 27 Kilometer beträgt. Der Mechanismus, der die kosmischen Teilchen auf dieses hohe Energieniveau bringt, ist bis dato völlig ungeklärt; ob Pulsare oder Supernovae dafür verantwortlich zu machen sind, ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

Was bedeutet die Existenz der kosmischen Strahlung für unsere Diskussion?

Ganz einfach, dass wir uns keine Sorgen machen müssen, denn die Erde ist in den letzten 4,5 Milliarden Jahren ihrer Existenz von hochenergetischen Teilchen aus dem Weltall getroffen worden, die wesentlich mehr Energie aufzuweisen hatten, als das was der LHC aufbieten kann. Sollten alle die zuvor aufgeführten "Wenns" wirklich zutreffen, so hätte das Universum schon längst eine Vielzahl an stabilen mikroskopisch-kleinen schwarzen Löchern auf die Erde losgelassen und im Laufe der 4,5 Milliarden Jahren wäre wohl auch genügend Zeit zur Verfügung gestanden, dass die Erde oder einer der anderen Planeten bei einem dieser Ereignisse vernichtet worden wäre. Die schiere Beobachtung, dass die Erde und die anderen Planeten NOCH IMMER EXISTIEREN, SOWIE DASS WEISSE ZWERGE ODER AUCH NEUTRONENSTERNE EIN LEBENSALTER VON ZUMINDEST EINER MILLIARDE JAHRE BESITZEN, schließt aber die Existenz von stabilen mikroskopisch-kleinen schwarzen Löchern aus.

In der Stunde, in der ich diese Sätze niedergeschrieben habe, hat das Universum mehr als 36x1015 LHC-Experimente durchgeführt. Und offensichtlich existiert es noch immer.

CERN

Kosmos

Nach acht Jahren Bauzeit wurden am 8. August 2008 die ersten Protonen in den LHC geschossen.
Zu diesem Zeitpunkt existiert das Universum schon mehr als 13 Mia. Jahre und unsere Erde seit mehr als 4,5 Mia. Jahren.
 Am 11. September sollen die ersten Kollisionen im LHC vonstatten gehen.Das Universum als ganzes führt pro Sekunde mehr als 10.000 Milliarden LHC Experimente durch.
Im besten Fall werden am LHC in einer Kollision 14 TeV freigesetzt.
Die höchstenergetischen Teilchen der kosmischen Strahlung treffen mit 1 Joule und mehr auf die Erdatmosphäre. Das heißt die Energie ist zumindest 1000 mal so hoch wie die Äquivalenzenergie der LHC Kollisionen.
Der LHC generiert im Durchschnitt 600 Mio. Kollisionen pro Sekunde.
Die kosmische Höhenstrahlung hat auf der Erde in den letzten 4,5 Mia. Jahren Kollisionen äquivalent zu einer Million LHC Experimente durchgeführt.

Fazit: Es steht 0:4 – eine satte Heimniederlage, die uns wohl eines zeigen soll: Auch das größte wissenschaftliche Experiment der Menschheit ist nichts gegen die Größe und die Energien des Kosmos. Für mich ist das ein beruhigendes Ergebnis.

Links:
ZIB 2 vom 4.9.2008
Large Hadron Collider (Wikipedia)
3D-Panorama CMS
3D-Panorama ATLAS    
Ausführliche Seite über den LHC  
Pamphlet zum Thema 

Bilder:
1.) Der LHC-Detektor CMS vor seinem großen Test mit Myonen aus der Atmosphäre, die entstehen, wenn diese von hochenergetischen Teilchen aus dem Weltraum getroffen wird. Credit: CERN
2.) ATLAS-Detektor; Credit und Bildrechte: Maximilien Brice, CERN

NeO   


Nachtrag aus aktuellem Anlass - Heliumaustritt und LHC-Notabschaltung am 19.09.2008

1) Hergang des Zwischenfalls

Am 19.09.2008 ist es im Bereich von Sektor 3/4 im LHC aufgrund eines fehlerhaften Kontaktes zwischen einem Ablenk- und einem Fokussiermagneten zu einem Zusammenbruch der Stromversorgung gekommen. Da auch ein Lichtbogen aufgetreten ist, welcher die Heliumkühlleitungen beschädigt hat, ist das Helium vom superflüssigen in den gasförmigen Zustand übergegangen und nach kurzer Zeit ausgetreten. Während der elektrische Fehler nur lokal war, pflanzte sich der Vakuumfehler in die benachbarten Sektoren fort und löste schließlich einen Quench in mehreren Sektoren aus. Als 2t Helium in den LHC Tunnel ausgetreten waren wurde die Notabschaltung des Beschleunigers ausgelöst, da ein akuter Sauerstoffmangel im Tunnel gemessen worden war. In weiterer Folge traten weitere 4 t Helium aus, d.h. von den 15 t Helium im Sektor waren nach dem Zwischenfall nur mehr 9t vorhanden.

2) Ergebnis des Zwischenfalls

Maximal 5 Fokussier- und 24 Ablenkmagneten sind beschädigt, vermutlich werden aber noch weitere Elemente aus dem Tunnel entfernt um diese zu reinigen und um die Isolierungen auszutauschen. Ersatzmagnete und -komponenten sind zwar vorhanden, aber wegen der Enge des Tunnels können Reparaturen und Reinigungen nur bedingt vor Ort durchgeführt werden, daher muss fast alles was beschädigt worden ist aus dem Tunnel abtransportiert werden. Da die CERN-Beschleuniger aber typischerweise ohnehin in der Zeit von November-März abgeschaltet werden, um Wartungsarbeiten durchführen zu können und weil Winterstrom um ein vielfaches teurer als Sommerstrom ist, wird das Wissenschaftsprogramm nur in bedingtem Maß verzögert.

3) Neuer Start doch noch im Winter?

Normalerweise würde das alles zusammengenommen bedeuten, dass der LHC frühestens im März/April 2009 wieder seinen Betrieb aufnimmt. Da allerdings 10.000 Hochenergiephysiker mit Argusaugen und langen Zähnen auf die ersten Experimente mit dem LHC warten - schließlich hoffen wir ja alle, dass mit dem LHC endlich das lang gesuchte Higgs-Boson gefunden wird - kann es aber auch sein, dass CERN dieses Mal eine Ausnahme macht und den LHC sofort nach der Reparatur und damit evt. noch im Winter wieder hochfährt. Egal wann der LHC letztendlich in Betrieb geht, man kann gespannt sein, ob sich wieder die selbe Diskussion zu den schwarzen Löchern entspinnt oder ob das dieses Mal dann schon 'ein alter Hut' sein wird...