Fast 50 Jahre nach dem letzten Flug einer Saturn V-Trägerrakete startete am 16. November wieder eine Trägerrakete ähnlicher Größenordnung und Aufgabenstellung vom Kennedy Space Center aus zum Mond. Nach Jahren der Vorbereitung und zahlreichen Verzögerungen aus den unterschiedlichsten Gründen (zuletzt durch Probleme mit dem Betankungs-Equipment und dem Hurricane Nicole) absolvierte an diesem Tag das SLS (für: Space Launch System) endlich seinen lang erwarteten Jungfernflug. Der offenbar perfekt verlief, sieht man von deutlichen Schäden an der Startanlage 39B einmal ab, der durch die Flammenstrahlen der beiden mächtigen Feststoffbooster und der vier RS-25 Haupttriebwerke der Zentralstufe verursacht wurden.
Die Mission begann um 7:47 Uhr mitteleuropäischer Zeit (1:47:44 Uhr US-Ostküstenzeit) an der Startrampe 39B des Kennedy Space Center. 6,4 Sekunden vor dem Liftoff begann die Zündsequenz der vier Haupttriebwerke, die in Abständen von 120 Millilsekunden in Betrieb genommen wurden. Diese gestaffelten Zündungen sind notwendig, um die Akustik-, Druck- und Vibrationslasten auf die Rakete und die Startstruktur möglichst gering zu halten und den Aufbau gefährlicher Resonanzen zu verhindern. Jedes der RS-25 Triebwerke brauchte danach drei Sekunden, um 90 Prozent des Nominalschubs zu erreichen. Danach begann eine drei Sekunden dauernde Prüfphase durch den Bordcomputer, um sicherzustellen, dass sich alle Triebwerksparameter im gewünschten Rahmen bewegten.
Nach dem Abschluss der Checks gab der Bordcomputer das Zündkommando an die Feststoffraketen und an die Startanlage, um alle Versorgungsleitungen und Kommunikationsverbindungen mit der Rakete zu kappen. Haltevorrichtungen oder Klammern, welche die Rakete festhalten, gibt es nicht. 70 Sekunden nach dem Verlassen der Startrampe war der Bereich der maximalen dynamischen Belastung auf das Raumfahrzeug erreicht. Die Geschwindigkeit betrug da 1.600 Kilometer pro Stunde in einer Höhe von 13 Kilometern.
Zwei Minuten und 12 Sekunden nach dem Liftoff, in einer Höhe von 48 Kilometer und einer Geschwindigkeit von 5.100 Kilometer pro Stunde, wurden die beiden Feststoffbooster abgetrennt. Eine weitere Minute später wurden die aerodynamischen Verkleidungsbleche um das Orion-Raumschiff abgesprengt. Fünf Sekunden später feuerten die Trennmotoren des Rettungssystems, das auch die Schutzkappe um die Orion beseitigte.
Acht Minuten und vier Sekunden nach dem Liftoff erfolgte der Brennschluss der vier Haupttriebwerke. Zwölf Sekunden später wurde die SLS-Zentralstufe von der Orbitaleinheit, bestehend aus der Oberstufe (bezeichnet als ICPS oder Interim Cryogenic Propulsion Stage) und dem Orion-Raumschiff abgetrennt. Zu diesem Zeitpunkt war eine Umlaufbahn mit einem Perigäum von 30 Kilometer und einem Apogäum von 1.805 Kilometern erreicht. Diese Umlaufbahn hätte nach einer halben Erdumkreisung wieder zurück in die Erdatmosphäre geführt, wäre nicht im Apogäum das Zweitstufentriebwerk gefeuert worden, um das Perigäum aus der Atmosphäre herauszuführen.
Die Hauptstufe könnte die Orion auch komplett in den Orbit befördern. Sie würde dann aber nach einer Weile einen unkontrollierten Wiedereintritt in die Erdatmosphäre durchführen. Um das zu verhindern wird das Perigäum so niedrig angelegt, dass die Stufe nach einer halben Erdumkreisung verglüht.
Während des Aufstiegs in das Apogäum der Orbitalbahn fand die Entfaltung der vier Solargeneratoren statt. Dieses Manöver begann 18 Minuten und 20 Sekunden nach dem Liftoff und dauerte etwa zwölf Minuten. 51 Minuten und 22 Sekunden nach dem Verlassen der Startrampe wurde mit dem RL-10-Raketentriebwerk der ICPS ein 22 Sekunden langes Brennmanöver durchgeführt, mit welchem das Perigäum der Kombination auf 185 Kilometer angehoben wurde.
Danach folgte eine weitere Driftphase bis zum Zeitpunkt 97 Minuten nach dem Liftoff. Danach begann das IPCS-Triebwerk für 18 Minuten zu feuern und beschleunigte die Geschwindigkeit der Orbitaleinheit soweit, dass eine lunare Transferbahn erreicht werden konnte.
Zwei Stunden, sechs Minuten und zehn Sekunden nach dem Liftoff wurde auch die ICPS abgetrennt. Danach befand sich das 26 Tonnen schwere Orion-Raumschiff alleine auf dem Weg zum Mond und begann seinen eigenen 25-tägigen Testflug. Für die ICPS-Stufe war die Mission aber noch nicht abgeschlossen. Sie setzte nach der Trennung von der Orion innerhalb von acht Stunden noch insgesamt zehn Mini-Raumsonden ab. Jede von ihnen ist ein 6Unit-Cubesats mit einem Gewicht von 10 - 15 Kilogramm.
Bei diesen zehn Nanosonden handelt es sich um
- ArgoMoon, einen Technologiedemonstrator der Italienischen Raumfahrtagentur ASI.
- BioSentinel, eine Astrobiologiemission der NASA im cislunaren Raum.
- CuSP, ebenfalls von der NASA, zur Erforschung des Weltraumwetters.
- EQUULEUS, ein physikalischer Forschungssatellit der Universität Tokio
- LunaHMap, ein Mondorbiter der NASA zur Feststellung von Wasser auf der Mondoberfläche.
- Lunar IceCube, ein Mondorbiter der NASA (entstanden in Zusammenarbeit mit der Morehead State University und der Firma Busek, welche die Mikro-Ionentriebwerke baut). Er soll von einer hochelliptischen Bahn mit einem Periselenum von 100 Kilometern Eisvorkommen auf dem Mond detektieren.
- LunIR, ein Technologiedemonstrator von Lockheed Martin.
- Near Earth Asteroid Scout, ein Technologiedemonstrator der NASA das ein Sonnensegel einsetzt, um erdnahe Asteroiden anzusteuern
- OMOTENASHI von der japanischen Raumfahrtagentur JAXA, ein Crash-Lander, und
- Team Miles, ein Technologiedemonstrator für einen neuartigen Plasmaantrieb
Mit dem Near Earth Asteroid Scout konnte nach dem Absetzen kein Kontakt hergestellt werden. Auch mit OMOTENASHI wurde keine dauerhafte Verbindung aufgebaut. Die anderen acht Nutzlasten scheinen aber funktionsfähig zu sein.
Dreieinhalb Stunden nach dem Liftoff von der Startanlage 39B des Kennedy Space Center führte die ICPS ein letztes Brennmanöver durch, und brachte sich damit auf eine heliozentrische Umlaufbahn.
Ein Bericht zum Start der Artemis I-Mission findet sich auch hier: https://space-jahrbuch.de/arbeit.php?id=101