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NASA schließt Beurteilungsphase ab

Wir schreiben das Jahr 1491. Ein gewisser Christopher Columbus, Nautiker am Seeinstitut von Genua und Admiral zur See, hat den Vereinigten spanischen Königreichen Kastilien und Aragonien die Pläne für eine Aufsehen erregende Forschungsexpedition vorgelegt. Sein Antrag wurde daraufhin vom Auswahlkomitee der NASA, der Nationalen Aragonisch-Kastilischen Seeforschungs-Administration, geprüft. Der nachfolgend abgedruckte Schlussbericht wurde an den Selektionsausschuss für die Genehmigung von Forschungsvorhaben im Rahmen des Programa de la exploración del mar Ihrer königlichen Majestäten von Kastilien und Aragonien übermittelt...

Auch als PDF verfügbar!  

Was wäre aus den Unternehmungen der großen Forschungsreisenden geworden, wenn die
Prüfungsinstitutionen der damaligen Zeit im Stil heutiger Forschungsbehörden verfahren hätten? Vielleicht etwa so:

Der Prüfbericht

Die Nationale Aragonisch-Kastilische Seeforschungs-Administration (NASA)hat das vorliegende Angebot einer»schnelleren, besseren und billigeren See-Route mittelsder Durchquerung des Westozeans zur Erreichungder Gewürzinseln (Molukken)« im Detail untersucht und stellt hiermit ihren Bericht über das Ergebnis vor

Zu bewertendes Angebot:

NASA - C.C. - Westozean - 1491

Titel des Antrages:

»Erforschung einer schnelleren, besseren und billigeren Seeroute zuden Gewürzinseln«.

Projektleitung:

Admiral zur See C. Columbus vom Genuesischen Institut für Ozeanautik.

Missionsbeschreibung:

Der Projektleiter (nachfolgend als PL bezeichnet) schlägt vor, die Gewürzinseln (Molukken) dadurch zu erreichen, dass er, ausgehend vom kastilischen Hafen Palos de la Frontera über einen Versorgungsstoppauf den Kanarischen Inseln, den großen Ozean in Richtung Westen durchquert. Einer ersten Explorationsflottille, bestehend aus drei Schiffen, würden danach größere Handelsflotten folgen. Ziel des Unternehmens ist es, langfristig das Monopol der Organisation Gewürz exportierender Länder zu brechen.

 

1. Auswertung der wissenschaftlichen Aspekte des Antrages

Der Selektionsausschuss der NASA fand eine beunruhigende Anhäufung fragwürdiger Referenzen, unzuverlässiger Daten und signifikanter Unterlassungen in der wissenschaftlichen Ausarbeitung und Begründung des Unternehmens. Dies betraf hauptsächlichfolgende drei Schwerpunkte:

Astronomie

Der PL hat Quellen ausgewählt, die von den kleinsten in der Literaturbeschriebenen Erdumfängen ausgehen. Ein Erdumfang von annähernd 40.000 Kilometern wird seit den Schriften von Erathostenesals relativ wahrscheinlich angenommen. Dies ist bei weitem mehr als der Wert, den der PL in seinem Antrag genannt hat. Es ist zu vermuten, dass die niedrigen Werte gewählt wurden, um die Reisezeit kürzer erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich ist, mit dem Zweck, dadurch die Entscheidung des Auswahlkomitees günstig zu beeinflussen.

Geografie:

Bei der Abschätzung der Größe der eurasischen Landmasse hat der PL dagegen auf den größten in der Literatur verfügbaren Wert zurückgegriffen. Insbesondere bemüht er Schätzungen äußerst unzuverlässiger Autoren wie etwa die seines Landsmannes M. Polo, der von sichbehauptet, die eurasisiche Landmasse bis zu deren Ende bereist zu haben. Bei Richtigstellung der beiden oben genannten Abschätzungen dürfte die Reisestrecke nicht wie von C. Columbus geschätzt nur etwa 5.000, sondern realistisch gesehen mindestens 18.000 Kilometer betragen.

Meteorologie:

Die im Angebot genannte, überaus optimistisch geschätzte Reisegeschwindigkeit der Flottille gehtebenfalls von extrem unzuverlässigen Quellen aus. Sie basieren auf »vertraulichen« Informationen über die Windströmungen des Westozeans. Der PL nimmt in seiner Ausarbeitung eine hypothetische Luftströmung an, die er die »Handelswinde« nennt. Diese würden es seinen Schiffen erlauben, auf der Anreise zu den Gewürzinseln auf einem bestimmten Breitengrad mit Rückenwind zu fahren. Diesen Rückenwind hätte er aber auch auf der Rückreise, wenn diese nur auf einem anderen, niedrigeren Breitengrad stattfindet. Eine Annahme, dass der Wind einmal nach Westen, einige Breitengrade weiter südlich aber nach Osten verläuft, ist ebenso absurdwie lächerlich. Das Untersuchungsgremium bestand bei diesem Sachverhalt auf einer zusätzlichen Anhörung des PL, um seine »vertraulichen« Daten einer näheren Prüfung zu unterziehen. Dabei stellte sich heraus, dass seine Angaben aus anekdotenhaften Erzählungen ungebildeter Fischer stammten. Wir fordern in dem Zusammenhang, dass jeglicher zukünftige Antrag dieser Art nicht mehr zur Prüfung zugelassen wird, wenn er nicht auf qualifizierten Windmessungen beruht, die von ausgebildeten Meteorologen erstellt und von einem unabhängigen Expertengremium begutachtet wurde.

Geophysik:

Das dem Angebot zu Grunde liegende Erdmodell ist in hohem Maße asymmetrisch. Alle Kontinente konzentrieren sich auf eine Hemisphäre, alle Ozeane auf die andere. Dazwischen gibt es keine weitere Landmasse. Eine Erde in dieser Konfiguration ist in hohem Maße instabil und kann aus diesem Grunde nicht als das feststehende Zentrum der himmlischen Sphären im Einklang mit den Vorschriften der heiligen Mutter Kirche dienen. Die vom Auswahlkomitee konsultierten Experten nehmen überwiegend an, dass es derzeit noch unbekannte Kontinent ein den Ozeanen geben muss, um das Verhältnis zwischen Land- und Seemasse zu stabilisieren. Diese Landmasse wird demzufolge eine unüberwindliche Barriere für die vorgeschlagene Mission darstellen.

 

2. Auswertung des technischen Gehalts des Antrages

Die von der NASAdurchgeführtetechnische Analyse des Vorhabens ergab zahllose Schwachstellen, von denen hier nur die wichtigstengenannt seien:

Lebenserhaltungssysteme:

Unter Zugrundelegung einer realistischen Missionsdauer ist es offensichtlich, dass beim heutigen Stand der Schiffsbautechnik die angemessene Menge von Nahrung, Wein und Wasser noch nicht einmal für eine Minimalcrew mitgeführt werden kann. Die Planung des PL, hypothetische Vor-Ort-Ressourcen wie etwa die sagenumwobenen Inseln namens »Antillen« als Versorgungsbasis zu nutzen, sind viel zu spekulativ, um als Grundlage für eine bemannte Mission dienen zukönnen.

Medizinische Aspekte:

Portugiesische Forschungsresultate zeigen, dass lange Reisen über das offene Meer zu einer allmählichen und nachhaltigen Schwächungdes Immunsystems führen. In wissenschaftlichen Dokumenten, dievon unseren Agenten abgefangenwerden konnten, wurde darauf hingewiesen, dass die Gesundheit der Crew insbesondere durch ein Syndrom namens »Skorbut« gefährdet ist. Die Ursache dieser Erkrankung ist unbekannt, steht aber offensichtlich mit der Länge einer Seereise in Zusammenhang. Gegen diese Krankheit existiert kein Gegenmittel. Die nähere Untersuchung dieses Problems wird Gegenstand einer Forschungsreihe sein, welche an der Ozeanischen Forschungsstation der Vereinigten Königreiche durchzuführen ist. Bis zur Lösung dieses Problems kann damit eine Langzeitmission über das offene Meer keinesfalls genehmigt werden.

Kommunikation:

Die derzeit existierenden Zwei-Wege-Kommunikationsmöglichkeiten zwischen der Missionskontrolleund der Expeditionsflotte sind unzureichend. Sowohl die Nachrichtenverbindung mittels Brieftauben alsauch die Backup-Lösung über Flaschenpost sind in hohem Maße un-zuverlässig, insbesondere bei Langstreckenmissionen. Letztendlich bedeutet dies, dass mangels fehlender Kommunikation mit dem Missionskontrollzentrum die Ozeanauten vollständig auf ihre eigenen Fähigkeiten angewiesen wären. Die bisherige Selektion von Ozeanauten durch die NASA wurdeschwerpunktmäßig auf Fähigkeitenwie »Einholen von Leinen«, »Reffen von Segeln« oder »Erklettern von Wanten« ausgelegt. Unter dem neuen Szenario wäre jetzt ein ausgedehntes Zusatztraining in linguistischen Fähigkeiten sowie auf dem Gebiet der Diplomatie notwendig. Für den Fall des Scheiterns letzterer ist ein Spezialtraining im Gebrauch militärischer Ausrüstung erforderlich. Diese Schulungs- und Trainingsmaßnahmen würden die Missionskosten ungebührlich in die Höhe treiben.

Navigation:

Im Angebot des PL wird keineMethode beschrieben, wie die Ozeanauten den erreichten Längengradbestimmen können. Dies ist jedoch ein essenzieller Aspekt für eine Langzeitmission nach Westen mit permanent fehlender Landsicht.

Missionsarchitektur:

Die vorgeschlagene Zusammensetzung der Forschungsflotte, bestehend aus zwei Karavellen mit geringem Tiefgang für Pfadfinder-Zwecke (im Angebot als Nina und Pinta bezeichnet) und einem Schwerlastträger (im Angebot Santa Maria genannt) für die logistische Unterstützung hat gewisse operationelle Vorteile gegenüber einer homogenen Flotte. Das Angebot versäumt aber, das erheblich erhöhte Missionsrisiko dieser Variante zu adressieren. Ein Ausfall des Schwerlastträgers führt unausweichlich zu einem Totalverlust der gesamten Mission, da die meisten Versorgungsgüter und Ausrüstungsgegenstände der Expedition in diesem einzelnen Fahrzeug konzentriert sind. Der Verlust des Schiffeswird die eventuell überlebendenSeeleute der Pfadfinder-Schiffe einem siechenden Tod durch Hungerund Durst aussetzen.

 

3. Auswertung des programmatischen Gehaltes des Antrages

Finanzierung:

Der PL drückt sichin der Identifizierung der Finanzierungsquelle unklar aus, scheint aber im Wesentlichen auf eine Art »Friedensdividende« durch das sich abzeichnende Ende der Mau-renkriege zu spekulieren. Dieses Ansinnen muss aber abgelehnt werden, da es die soziale Stabilität der beiden Königreiche gefährdet. Bei diesem Plan würde eine große Anzahl entlassener Soldaten durch die Flure wandern, die sich keine Hoffnung auf einen Zivilberuf machenkönnten. Eine Finanzierung durch eine Sonderbesteuerung auf Pfeffer und Gewürznelken erscheint uns dem Zweck angemessener.

Zeitplan:

Der vorgeschlagene Zeitplan für die erste bemannte Expedition zu den Gewürzinseln (Start 1492, Rückkehr 1493) ist außerordentlich optimistisch. Die Planungstafeln des NASA-Hauptquartiers belegen, dass das nautische Personal ihrer beiden Majestäten Administration bis etwa 1508 vollständig mit dem Aufbau der Ozeanischen Forschungsstation ausgelastet ist.

Küsten-Anlagen:

Der Vorschlag des PL, die gesamte Mission von dem unbedeutenden kastilischen Hafen in Palos ausdurchzuführen, wird absehbar nichtdie notwendige politische Unterstützung finden. Dadurch ist die langfristige Stabilität des Programms gefährdet. Wir schlagen deshalb vor, Anlagen für die Wartung, den Bau und die Versorgung der Schiffe entlang der gesamten Küste an verschiedenen Hafenstädten zu etablieren. Diese Hafenstädte sollten unter dem Einfluss wichtiger Adelsfamilien stehen. Aus politischen Gründen sollte zusätzlich darauf geachtet werden, dass mindestens 40 Prozent der Missionskosten im Königreich Aragonien ausgegeben werden.

Management:

Die vorgeschlagene Management-Struktur mit einem Admiral zur See, der alle Aspekte der Mission direkt kontrolliert, ist im gegebenen politischen Umfeld nicht durchführbar. Auf keinen Fall kann ein Nicht-Spanier von niederer Geburteine solche Position innehaben. Eine politisch sensible Mission dieses Charakters erfordert einen Missions-Manager von königlichem Geblüt, bevorzugt aus dem Herzogs-Stand, sowie einen Stab von Subsystem-Verantwortlichen aus dem Stand des niederen Adels.

Human Resources:

Im Angebot ist die gesetzlich vorgeschriebene Quotenregelung für die Beschäftigung von Veteranen aus den Maurenkriegen sowie für kriegsbeschädigte Galeerensklaven nicht erfüllt worden. Als inadäquat erkannt worden sind auch die Sicherheitsmaßnahmen gegen die potenzielle Infiltration von Häretikern in das Projekt. Der ungebührliche Schwerpunkt des Angebotes auf die kommerzielle Seite des Unternehmens erfordert eine Überprüfung durch die Heilige Inquisition der Mutter Kirche. Auch eine Untersuchung der Person des PL durchdie Heilige Inquisition erscheint in diesem Zusammenhang als ratsam.

Empfehlung des Ausschusses:

Das Auswahlkomitee der Nationalen Aragonisch-Kastilischen Seeforschungs-Administration kommt nach eingehender Prüfung des Antrags zu dem Schluss, dass der von C.C. vorgeschlagene Plan in seiner jetzigen Form undurchführbar ist. Trotzdem ist die zu Grunde liegende Idee einer Westroute zu den Gewürzinseln attraktiv und sollte weiter gefördert werden. Insbesondere sollte die NASA die Rechtfertigung ihrer Existenz durch ein eigenes Großforschungsprogramm untermauern, wozu das geprüfte Vorhaben als geeignet erscheint. Dies vorallem im Licht der jüngsten Unternehmungen des Königreiches Portugal, vor allem mit der spektakulären Mission »Afrikanische Seeroutenach Indien«. Wir schlagen daher ein fünfstufiges Alternativprogramm vor und stellen es Ihren königlichen Majestäten zur Genehmigung anheim:

1.

Ein technisches Vorläuferprogramm speziell auf dem Gebiet der Navigation ohne Landsicht unter besonderer Berücksichtigung der Längengradbestimmung sowie der Entwicklung von Lebenserhaltungssystemen für Langzeit-Seemissionen unter Einbeziehung der Ozeanischen Forschungsstation im Zeitrahmenetwa ab 1508.

2.

Durchführung einer Reihe unbemannter Missionen zur Erforschung der Meeresströmungen und Windbedingungen im Westozean im Zeitraum 1515 bis 1530.

3.

Phasenweiser Beginn bemannter Missionen mit zunehmendem Komplexitätsgrad etwa 1530 bis 1540 mit dem Zielpunkt »Kanarische Inseln«.

4.

Ausbau der kanarischen Inseln als »Absprungbasis über den Westozean« etwa im Zeitraum 1540 bis 1560. Dabei Erprobung der Expeditionsausrüstung für die Westozean-Durchquerung.

5.

Beginn bemannter Missionenüber den Westozean etwa ab 1560. Ein Programm mit diesen ver-nünftig terminierten und politischdurchsetzbaren Vorgaben würde eineadäquate Basis für eine langfristigangelegte und auf Expansion bedachte spanische Seemacht bilden. Dieser Plan ist wesentlich besser alsder nur auf kurzfristigen Profit ausgerichtete Antrag des C. C. Die Zukunft, die Größe und die Bedeutungder Vereinigten Spanischen Königreiche erfordern nichts Geringeres.

Nachtrag:
Die Metapher mit Christopher Columbus existiert in der Raumfahrtgemeinde schon lange. Ich selbst habe sie seit Anfang der 1990er-Jahre in leicht verändertem Wortlaut immer wieder in Publikationen und Vorträgen genutzt. Die Idee für die vorliegende Betrachtung stammt von Jeffrey F. Bells, Außerordentlicher Professorfür Planetologie der Universität von Hawaii in Manoa, dessen ebenso kritische wie unterhaltsame Betrachtungen zu Astronomie und Astronautik ich sehr schätze. Jeffrey F. Bells veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen Beiträge auf www.spacedaily.com

Astra