Im September 2003 sah es noch nach einem Totalschaden aus. Im Satelliten-Integrationsraum bei Lockheed in Sunnivale war es zum Super-DAU gekommen, dem "Dümmsten aller Anzunehmenden Unfälle". Die Techniker hatten schlichtweg vergessen, ihren superteuren neuen Wettersatelliten NOAA-N Prime auf einem Drehtisch festzuschrauben, bevor sie an ihm arbeiten wollten. Ohne zu prüfen ob er gesichert ist, betätigten sie die Kippvorrichtung des Drehtisches, und "rumms" lag das Raumfahrzeug, teuer wie sein Gewicht in Platin und Edelsteinen, auf dem Zement des Hallenbodens. Die Gesamtkosten für den Satelliten kamen am ende auf 564 Millionen Dollar. Gut 150 Millionen Dollar davon zahlte nicht der Auftraggeber, sondern Lockheeds Montageversicherung.
Die Frage nach diesem Schlamassel war: Wegwerfen oder reparieren. Nach eingehender Prüfung entschied sich Lockheed für das Letztere. Mehr als fünf Jahre nach dem grotesken Vorfall war das Raumfahrzeug jetzt, (nicht ohne noch einen weiteren merkwürdigen Zwischenfall in der Fertigung zu erleben), auf der Startrampe der Luftwaffenbasis Vandenberg angekommen und dort unter der weißen Nutzlastverkleidung seiner Trägerrakete, einer Delta 2 7320, sicher verstaut.
Der nächtliche Start am 6. Februar, um 12:22 mitteleuropäischer Zeit, war präzise abgestimmt, um exakt den selben Orbit zu erreichen, in dem sich auch das Raumfahrzeug befindet, das NOAA-N Prime ablösen soll.
Der Familienstammbaum der NOAA-Wettersatelliten reicht zurück bis in das Jahr 1960. Damals startete, mit einer der frühen Delta-Raketen übrigens, TIROS 1, der erste Television Infrared Observation Satellite. Technische Verbesserungen haben über die Jahrzehnte hindurch diese zivile Wettersatellitenreihe stetig weiter entwickelt.
NOAA-N Prime ist der 43. Satellit in dieser langen Reihe und der insgesamt 16. der gegenwärtigen Bauserie, deren Erstflug im Jahre 1978 erfolgte. Er ist aber nun auch die unwiderruflich letzte Einheit der auf diesem schon etwas betagten Design basiert.
Er hat eine spezifizierte Lebensdauer von zwei Jahren, die Projektmanager gehen aber davon aus, dass er länger durchhalten wird. Tatsächlich beträgt die durchschnittliche Lebensdauer in dieser Baureihe 3,75 Jahre.
Die Zukunft amerikanischer Wettersatelliten auf sonnensynchronen polaren Umlaufbahnen trägt den sperrigen Namen NPOESS, eine Abkürzung für National Polar-orbiting Operational Environmental Satellite System. Es kombiniert die bislang getrennt laufenden zivilen und militärischen Programme in ein einziges Programm, eine Idee die bereits im Jahre 1994 unter der Regierung Clinton ins Leben gerufen wurde.
Die neuen NPOESS Satelliten haben allerdings finanzielle und technische Probleme und so wurde der erste Start immer wieder verschoben und wird nun nicht vor dem Januar 2013 stattfinden können. Um die Lücke zu schließen wurde ein Zwischenprojekt ins Leben gerufen, das "NPOESS Preparatory Project", ein Satellit der ende 2010 auf seine polare Umlaufbahn entsandt werden soll und ein Hybrid aus NOAA und NPOESS darstellt.
NOAA-N wird seinen Arbeitsorbit auf einer polaren, leicht retrograden Kreisbahn in 850 Kilometern Höhe haben, und zwar auf dem so genannten "Nachmittagsorbit", auf dem er bei jeder Erdumkreisung den Äquator auf seinem Flug von Norden nach Süden genau um 14:00 Uhr Weltzeit überquert. Auf diesem Orbit ist bislang NOAA-18 im Einsatz, dessen Instrumente in ihrer Leistung aber langsam nachlassen.
Die so genannte "Morgenbahn" wird übrigens vom europäischen Wettersatelliten MetOp beobachtet, der im Jahre 2007 gestartet wurde. Eumetsat (European Organisation for the Exploitation of Meteorological Satellites) und NOAA tauschen die Daten ihrer Satelliten untereinander aus. Somit spart jede der beiden Organisationen ein eigenes Raumfahrzeug auf der jeweiligen Alternativbahn.
Die NOAA-Satelliten werden von einer ganzen Reihe von Interessentengruppen und Institutionen genutzt, nicht nur von Meteorologen. Agrarplaner beispielsweise können die Daten der Satelliten für die Ernteüberwachung verwenden, zur Bestimmung der Bodenfeuchtigkeit und für das Bewässerungsmanagement. Biologen nutzen sie zur Vegetationsüberwachung, Luftfahrt- Sicherheitsdienste für das Aufspüren vulkanischer Aschewolken, welche die Luftfahrt beeinträchtigen können und Umweltschützer und Behörden für die Schaffung einer langfristigen Datenbasis für das Klima-Monitoring hinsichtlich der Globalen Klimaveränderung.
Weitere Forschungsgebiete dieser Satelliten sind die Beobachtung von Veränderungen in der Ozon-Schicht, die Schwankungen des Erd-Magnetfeldes und der Strahlungsgürtel um die Erde hinsichtlich ihrer Einflüsse auf die terrestrische Energieübertragung, den Funk- und Fernsehverkehr bis hin zum Strahlungs-Monitoring für Astronauten die sich in einer Erdumlaufbahn befinden.
Zusätzlich sind die NOAA-Satelliten mit "SAR (Search and Rescue-) Empfängern ausgerüstet die Notsignale von Rettungsbaken und Spezialsendern empfangen können. In den letzten 26 Jahren sind über das NOAA-Netzwerk nicht weniger als 24.000 Rettungsaktionen weltweit ausgelöst worden.
Nach seiner erfolgreichen Ankunft auf seiner vorgesehenen Bahn wurde der Satellit umgetauft. Er heißt jetzt nicht mehr NOAA-N Prime sondern NOAA-19. Das Raumfahrzeug wird jetzt zwei Monate lang auf Herz und Nieren getestet, bevor er seinen aktiven Dienst aufnimmt.
Der Start war der 85. erfolgreiche Einsatz einer Delta 2 in ununterbrochener Folge seit dem Mai 1997. Und es war der 138. erfolgreiche Start bei 140 Abschüssen insgesamt. Der Erstflug dieser Delta-Variante erfolgte vor ziemlich genau 20 Jahren. Zählt man alle Delta-Versionen zusammen, dann war es der 338. Start einer Delta seit dem Debüt dieser Reihe im Jahre 1960. Es war der achte Einsatz einer Delta 2 in der Konfiguration 7320, der zweistufigen Variante mit nur drei Feststoffboostern anstatt der üblichen neun. Und es war der 35. Start einer Delta 2 vom Luftwaffenstützpunkt Vandenberg in Kalifornien.
In diesem Jahr war es schon der zweite Einsatz einer Delta, denn im Januar startete bereits eine schwere Delta 4 mit einem Militärsatelliten. Die Delta 4 hat allerdings mit der Delta 2 Reihe außer dem Namen und dem Hersteller nichts gemeinsam.
Der nächste Start einer Delta 2 Rakete ist derzeit für den Abend des 5. März von Cap Canaveral aus geplant. Dann soll die Raumsonde "Kepler" auf eine heliozentrische Umlaufbahn geschickt werden, und dort nach extrasolaren erdähnlichen Planeten suchen.