Während die Raumfähre Atlantis heute (20. 2.) um 9:03 US-Ostküstenzeit zu einer planmäßigen und reibungslosen Landung einschwebte, wartet im Nordpazifik die "USS Russell", ein US-Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse, um einem anderen Raumfahrzeug auf ganz besonders militärische Weise bei der Rückkehr zur Erde zu assistieren.
In diesem Fall geht es nicht um eine behutsame und möglichst schadensfreie Rückkehr, denn der Zerstörer wird seiner Bezeichnung gerecht: Er wird den Satelliten mittels seiner Hauptwaffe abschießen, der Anti-Raketen-Rakete SM-3 (Standard-Missile 3) des Aegis-Systems. Dieses Projektil verwenden die US-Streitkräfte normalerweise, um feindliche Kurz- und Mittelstreckenraketen zu bekämpfen.
Dieses Vorgehen ist ein wenig seltsam angesichts der Tatsache, dass die USA erst vor einem Jahr China scharf kritisiert hatten, weil sie ihren eigenen (übrigens noch voll funktionsfähigen) Wettersatelliten Fengyun-1C abgeschossen hatten. Und zwar in 800 Kilometern Höhe inmitten des viel genutzten polaren Orbits. China hat mit dieser unsinnigen Aktion eine Trümmerwolke erzeugt, die noch viele Jahre bestehen und eine Gefährdung für andere Raumfahrzeuge darstellen wird.
Seltsam ist dieses Vorgehen auch deswegen, weil die Sache sehr an die Tage des Kalten Krieges erinnert. Damals wurde mehr als nur einmal ein eigenes Raumfahrzeug vorsätzlich zerstört (durch Aktivieren der Selbstvernichtungsanlage, nicht durch Abschuss), wenn die Gefahr bestand, dass es ganz oder in Teilen in die Hände des Klassenfeindes fallen konnte.
Russland schaltete sich auch schon in die Aktion ein, und bezeichnete den geplanten Abschuss als einen verkappten Waffentest und eine Verletzung des Abkommens über die Entmilitarisierung des Weltraums.
Um was geht es eigentlich im aktuellen Fall?
Am 14. Dezember 2006 wurde von der Vandenberg Luftwaffenbasis an Bord einer Delta 2-Trägerrakete der 2.300 Kilogramm schwere Spionagesatellit USA-193 (auch als NROL-21 bezeichnet) in einen polaren Orbit gebracht. Gleich nach dem Start verlor die Bodenkontrolle den Kontakt zu dem Satelliten, ein Totalverlust wie es in der Raumfahrt immer wieder vorkommt. Obwohl der Einsatzzweck des Militärsatelliten geheim gehalten wurde, gehen informierte Beobachter davon aus, dass es sich bei dem Raumfahrzeug um einen Radaraufklärer des National Reconnaissance Office handelt.
Seit dieser Zeit treibt der Satellit auf einer niedrigen Erdumlaufbahn. Die Auswirkungen der oberen Atmosphäre sind so nachhaltig, dass USA-193 durch die in dieser Höhe immer noch vorhandene geringe Luftreibung ständig an Bahnhöhe verliert. Derzeit ist sein Orbit annähernd kreisförmig, die Flughöhe beträgt etwa 240 Kilometer.
Die Berechnungen von NORAD (North American Aerospace Defense Command) haben ergeben, dass er am 18. März unkontrolliert in die dichteren Schichten der Erde eintreten wird. Wo genau, kann jedoch nicht ermittelt werden. Es wird aber mit 80 prozentiger Wahrscheinlichkeit über den Ozeanen der Erde sein. Dabei wird der Satellit zum größten Teil verglühen. Einige kleinere Bruchstücke können aber auch den Erdboden erreichen.
Soweit so gut. Fast jede Woche tritt ein ausgedienter Satellit oder eine Raketenendstufe in die Erdatmosphäre ein und verglüht. Für die Beobachter auf dem Erdboden ein interessantes Schauspiel, aber damit hat es sich in der Regel auch schon.
An dieser Stelle beginnt das Verwunderliche. Die amerikanischen Behörden geben nämlich an, die Zerstörung des Satelliten erfolge aus "Sicherheitsgründen", denn es könne möglicherweise sein, dass einzelne Bruchstücke den Erdboden erreichen und dort Schaden anrichten. Insbesondere ein mit 450 Litern Hydrazin gefüllter Tank stelle eine potentielle Gefahr für Leib und Leben der Erdbewohner dar. Deshalb sei der Abschuss notwendig.
Rührend diese Sorge, kommt sie doch offensichtlich von einer mitfühlenden Seele.
Seit Jahrzehnten ist es allen raumfahrenden Nationen herzlich egal, wann und wo ein Satellit in die Erdatmosphäre eintritt. Das ist nicht Missachtung eines Gefahrenpotentials sondern schlichte Statistik. Teile abgestürzter Satelliten, die nicht vollständig verglüht sind, werden zwar ab und zu einmal gefunden. In einem halben Jahrhundert Raumfahrt ist aber noch nie ein Mensch dadurch zu Schaden gekommen. So wird es auch hier sein. Und speziell der so ausdrücklich genannte Tank wird - zumindest in gefülltem Zustand - den Wiedereintritt keinesfalls überleben, sondern lediglich in großer Höhe ein nettes optisches Spektakel abgeben.
Tatsächlich ist diese Show eine Mischung aus militärischer Machtdemonstration und dem Versuch zu verhindern, dass geheimes technologisches Knowhow an die falschen Personen geht. Dabei ist auch ein gerütteltes Maß an Großmacht-Paranoia...
Immerhin, eine marodierende Trümmerwolke wie im letzten Jahr beim Fengyun-1C Vorfall wird es diesmal nicht geben. Die Abschusshöhe ist viel niedriger, und sollten doch einzelne Trümmer im Orbit verbleiben, werden sie innerhalb weniger Tage verschwunden sein.
Für die hektischen Bemühungen der USA gibt es allerdings einen Grund. Es gab nämlich schon einmal einen ähnlich gelagerten Fall. Der ereignete sich am 27. April 1964, als eine Thrust Augmented Thor Agena D von Vandenberg aus den fünften Bildaufklärer der KH-4A-Klasse startete. Diese Satelliten sind heute unter der Sammelbezeichnung "Corona" bekannt, und das "KH" steht sehr bildhaft für "Key-Hole". Schlüsselloch also, was den Zweck dieser Satelliten recht unumwunden beschreibt.
Satelliten dieses Typs waren mit einer Kapsel ausgerüstet, die mit belichtetem Film zur Erde zurückkehrte. Als die Missionskontroller nach der Erfüllung der Fotomission die Kapsel zur Erde zurückholen wollten, gelang das nicht. Sie blieb mit dem Satelliten verbunden und dieser mit seiner Agena-Endstufe. Ein Problem in der Energieversorgung verhinderte die Zündung der Pyro-Cutter, mit der die Trennung der Komponenten erfolgen sollte.
Die Kombination war damit nicht mehr steuerbar und so trat sie am 26. Mai 1964 über Venezuela in die Erdatmosphäre ein. Die Agena und der Muttersatellit verglühten komplett, die Landekapsel aber - dafür ausgelegt einen Wiedereintritt zu überstehen - kam herunter, wenn auch erheblich beschädigt.
Zunächst aber blieb das Schicksal der Kapsel unbekannt. Die USA waren der Meinung, der Satellit sei im Pazifik niedergegangen, in der Nähe der Westküste Südamerikas. Die Geschichte begann erst ihren Fortgang zu nehmen, als sechs Wochen nach dem Absturz zwei Farmarbeiter zufällig über die Kapsel stolperten und sie mit nach Hause nahmen. Dort begannen die Bauern alles abzumontieren, was ging. Insbesondere die Goldbeschichtung wurde abgekratzt, aber auch andere brauchbare Komponenten wurden verwendet.
Am 1. August rief ein Zeitungsreporter namens Leonardo DaVilla bei der amerikanischen Botschaft an, verlangte den Militärattachè und erzählte die Geschichte einer seltsam verkohlten Kapsel, die offensichtlich amerikanischen Ursprungs sei. Die Amerikaner glaubten ihm zunächst nicht und taten nichts. Erst als sie durch die Landespresse mitbekamen, dass ein venezolanischer Zivilpilot das Objekt als Souvenir mitgenommen hatte wurden sie aktiv.
In der Zwischenzeit ging die Sache durch die Presse, Reuters veröffentlichte die Geschichte weltweit und die Rückkehrkapsel wurde von allen möglichen Leuten im Detail fotografiert. Da wachte der amerikanische Geheimdienst endlich auf, und es begann eine CIA-Aktion im James-Bond-Stil der 1960iger Jahre: Eine pittoreske Agentenstory mit vielen humoristischen Elementen, die Wayne Day in seinem Buch "Eye in the Sky" beschrieben hat.
Die ganze Aktion, eine Ansammlung nahezu unglaublicher Ungeschicklichkeiten, versuchte der damalige Direktor des National Reconnaissance Office am Ende der Öffentlichkeit damit zu verkaufen, dass man die Landekapsel dringend benötigt habe, um wertvolle Engineeringdaten über die "Überlebbarkeit von rückkehrfähigen Raumfahrzeugen unter nicht optimalen Bedingungen" zu gewinnen.